In der Medizin gilt der Grundsatz „vor allem nicht schaden“: primum nihil nocere. Ärztliches Handeln orientiert sich also zunächst an der Überlegung, nicht mehr Schaden anzurichten als es beseitigt. Dieser Grundsatz lässt sich auch auf nachhaltige Investments anwenden. Die Vermeidung von destruktiven wirtschaftlichen Aktivitäten hat demnach Vorrang vor der beabsichtigten positiven Wirkung einer Investition.
Waffen und Rüstung haben in ESG-Fonds nichts zu suchen…
Der Grundsatz, dass Waffen und Rüstung in nachhaltigen Fonds keinen Platz haben galt jahrelang als unumstößlich. Nachdem die Verschärfung der militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine europaweit mit gigantische Rüstungsprogrammen beantwortet wurden und die Aktienkurse von Rüstungsunternehmen in die Höhe schossen, rücken erste Kapitalanlagegesellschaften davon ab.
Die in Schweden führende Investmentbank SEB erklärte Anfang April auf Drängen einiger institutioneller Investoren, Waffen und Rüstungsproduktion nicht mehr generell auszuschließen. Einige Rüstungs-Lobbyverbände forderten gar, Rüstung generell als nachhaltig zu deklarieren, denn es ginge dabei um die Verteidigung von friedlichen, demokratischen Gesellschaften.
Die meisten Anbieter von Nachhaltigkeitsfonds halten bislang an den Ausschlusskriterien von Waffen- und Rüstungsproduktion fest. Der nachhaltige Investmentpionier Ökoworld sieht auch nach dem militärischen Eingriff Russlands in den ukrainischen Bürgerkrieg keinen Grund, sich von eigenen Grundsätzen zu verabschieden. Demnach sind „selbstverständlich Waffen und Rüstung aus sämtlichen Investments ausgeschlossen.“ Zumindest „umstrittene Waffensysteme“ gelten auch bei konventionellen Fondsanbietern als tabu.
….ist aber dennoch erschreckend weit verbreitet
Tatsächlich wird der Ausschluss von Rüstung und Waffen oft nur lax gehandhabt oder mit komfortablen Umsatzschwellen umgangen. Bei der SEB lag die Schwelle beispielsweise schon zuvor bei 5% Anteil am Umsatz. Damit waren selbst Investments in die 100 größten Rüstungsproduzenten noch möglich. Schlimmer noch: Selbst die Produktion von kontroversen Waffen ist in ESG-Fonds weiter verbreitet, als bisher angenommen wurde.
Das Finanzportal Citywire hat kürzlich auf Basis von Daten der Ratingagentur Morningstar eine systematische Auswertung europäischer ESG-Fonds (gem. Artikel 8 und 9 EU-Transparenz-verordnung) vorgenommen. Demnach waren etwa ein Drittel aller Fonds nicht nur im Rüstungsbereich investiert sondern sogar in besonders umstrittene Waffensysteme. Dazu gehören Antipersonenminen, Atomwaffen, Streuwaffen, biologische und chemische Waffen, abgereichertes Uran und weiße Phosphormunition.
Fallen Grundsätze unter den Tisch, solange sich Rüstungsproduktion als kurzfristig attraktives Börsengeschäft präsentiert? Bei genauer Betrachtung zeigt sich zwar, dass es in den meisten Fällen um Firmen geht, die nur in sehr geringem Umfang Teile produzieren, die zudem meist nicht speziell für solche geächteten Waffen entwickelt wurden. Auch beinhaltet die bislang auf Umweltaspekte reduzierte EU-Taxonomie eben diesen Punkt (noch) nicht.
Wir bleiben unserem Grundsatz treu: primum nihil nocere
Gleichwohl zeigt das Ergebnis, dass die inzwischen verbindlich vorgeschriebene EU-Klassifikation nur wenig Orientierung bietet. Und: bei immerhin neun ESG-Fonds betrug der Anteil an Firmen, die in die Produktion kontroverser Waffen involviert bis zu 3,3%. Der mit dem höchsten Anteil war sogar als Artikel-9-Fonds registriert.
Knapp die Hälfte der Fonds wurden von Goldman Sachs aufgelegt. Mit dabei waren auch bekannte ETF-Anbieter wie BlackRock und Dimensional, sowie Credite Suisse und BNP Paribas. Von diesen Anbietern hatten wir schon bisher keine Fonds in unserer Empfehlungs- und Beobachtungsliste. Dabei wird es auch bleiben. SEB-Fonds haben wir aus unserem Empfehlungsuniversum entfernt. Denn wir sind nach wie vor überzeugt: eine friedlichere Welt schafft man nicht mit immer mehr Waffen. Zunächst geht es darum, nicht noch mehr Schaden anzurichten – primum nihil nocere.