Am 10. März wurde die Silicon Valley Bank unter sofortige Zwangsverwaltung gestellt. Es ist nach Lehman Brothers die zweitgrößte Bankeninsolvenz der US-Geschichte. Die Insolvenz hängt mit der restriktiven Zinspolitik der vergangenen Monate zusammen. Die Dosierung dieser Medizin gegen inflationäre Entwicklungen lässt sich nicht mehr weiter steigern ohne unerwünschte Nebenwirkungen auszulösen. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. Die Bank ist auch am Erfolg gescheitert und einem laxen Risikomanagement. Und letztlich markiert ihr Untergang nur die Spitze des Vulkans. Weitgehend im Verborgenen entfaltet sich das Potenzial zu weit destruktiveren Entwicklungen. Diese gilt es zu vermeiden.
Wie konnte es dazu kommen?
Die Silicon Valley Bank (SVB) finanzierte über vier Jahrzehnte schwerpunktmäßig High-Tech-Startups in Kalifornien. Sie plante darüber hinaus bis 2027 Kredite, Investitionen und anderweitige finanzielle Unterstützung für Nachhaltigkeitsziele in Höhe von 5 Mrd US-Dollar. Die Corona-Krise spülte nicht wenigen der vielfach im IT-Bereich tätigen Unternehmen enorme Mittel in die Kasse. Vor allem in 2021 gingen die Kundeneinlagen der Bank sprunghaft in die Höhe: Konkret wuchsen die Einlagen um 86 Prozent. Einen sehr großen Teil der Mittelzuflüsse legte die SVB in US-Staatsanleihen und Hypothekenanleihen an, deren Zinsen 2021 allerdings noch recht niedrig waren. Im Schnitt betrug die Restlaufzeit dieser Anleihen Ende 2022 knapp 6 Jahre.
Als die US-Notenbank FED Mitte März 2022 wegen der andauernd hohen Inflation begann, die Zinsen anzuheben und die Geldmenge nicht weiter über Anleihekäufe zu erhöhen, stiegen auch die Zinsen dieser Anlageklasse, was zu einer deutlichen Abwertung der niedrig verzinsten Bestandsanleihen führte. Buchhalterisch führte diese auch als stille Last bezeichnete Abwertung zu „unrealisierten Verlusten“ auf Anleihen, die zum 31.12.2022 17,6 Milliarden USD betrugen und damit das Eigenkapital der SVB überstiegen.
Technisch bedeutet das, dass bei einem Abzug aller Kundeneinlagen schon zu diesem Zeitpunkt der Bankrott eingetreten wäre. Das Problem war noch dadurch verschärft, dass die Einlagen zu über 90% von Großinvestoren wie Peter Thiel dominiert wurden. Deren Einlagen sind durch die gesetzlichen Sicherungssysteme größtenteils nicht geschützt. Die Bank hat den Ernst der Lage zunächst verschleiert, indem sie die Wertpapiere als HTM klassifizierte, was so viel heißt wie „Halten bis zur Endfälligkeit“ – dadurch wurde der buchhalterische Verlust nicht in voller Höhe in der Bilanz dargestellt.
Insolvenz mit Ansage
Die Problemlage der Silicon Valley Bank war aber dennoch für Analysten und Investoren erkennbar. Sie kam nicht überraschend, sondern baute sich kontinuierlich mit jeder Zinserhöhung auf. Das war den Quartalsberichten auch zu entnehmen. Im Übrigen wuchsen natürlich die stillen Lasten auch bei anderen großen Banken. Die Bank of America wies beispielsweise per 31.12.2022 noch deutlich höhere unrealisierte Verluste in Höhe von 109 Milliarden US-Dollar auf die von ihr gehaltenen Anleihen in Höhe von 633 Milliarden US-Dollar aus. Das entsprach immerhin auch schon etwa 40 Prozent des Börsenwertes (Aktienkurs mal Anzahl der Aktien) der Ende 2022 265 Milliarden Dollar betrug.
Es macht allerdings schon einen Unterschied, ob das ganze Eigenkapital im Feuer steht oder nur ein Teil davon. Zwar war eine Abschwächung der Zinserhöhungen bereits abzusehen, noch aber wurden weitere Zinserhöhungen erwartet und somit stand auch ein weiteres Wachstum der stillen Lasten auf der Tagesordnung.
Was die SVB nach Meinung einiger Kommentatoren offensichtlich noch versäumt hatte war, die Anleihen mittels derivativer Instrumente gegen zinserhöhungsbedingte Verluste abzusichern. Hinzu kam das Risiko erhöhter Ausfallraten im Hypothekensektor. All dies trug letztendlich zur negativen Gesamtbewertung bei. Als Peter Thiel sein Kapital abzog war dies der Anfang eines Bankruns, welcher der Bank innerhalb von zwei Tagen zum Verhängnis wurde und die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) zum Eingreifen zwang. Die Kapitalflucht erzwang nämlich die tatsächliche Realisierung der Verluste.
Nur die Spitze des Vulkans
Die Nervosität an den Finanzmärkten hat jedoch noch tieferliegende Gründe: Haushalte, Unternehmen und die Regierung der USA hatten Ende Dezember 2022 Schulden in Höhe von etwa 69 Billionen US-Dollar, was etwa dem Dreifachen des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Seit der letzten Finanzkrise sind insbesondere die öffentlichen Schulden stark angewachsen. Sie betragen etwa 120% des BIPs. Ähnliche Entwicklungen können wir in fast allen entwickelten Industrieländern beobachten, wenngleich regional unterschiedlich ausgeprägt (Durchschnitt EURO-Zone Stand 2021: 95%). Solange die Zinsen niedrig waren, waren solche Schulden kein nennenswertes Problem.
Eine mit den Zinserhöhungen steigende Zinslast könnte nun allerdings sehr viele Kreditnehmende in Schwierigkeiten bringen, denn nicht wenige Unternehmen sind bereits hochverschuldet und laufend auf Anschlussfinanzierungen angewiesen. Wenn die Banken ihre Kreditvergabe zurückfahren, rutschen immer mehr Unternehmen in die Insolvenz, Beschäftigte werden arbeitslos, die Kaufkraft sinkt usw. – was zu einer Abwärtsspirale führen kann. Weltweit steigt die Zahl sogenannter „Zombie“-Unternehmen kontinuierlich an. Im Sinne einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft wird das Ausscheiden einzelner schwacher Unternehmen grundsätzlich als normal und sogar wünschenswert betrachtet. Die mit einem drastischen Kollaps verbundenen massiven Wohlstandsverluste und sozialen Verwerfungen sind allerdings gesellschaftlich destruktiv – wie wir aus der Geschichte wissen.
Auch ohne einen Kollaps des Finanzsystems befinden sich politische Entscheidungsträger in einer Zwickmühle. Die vorhandenen Geldströme in Form von Dividenden, Mieten, Pachten und Zinsen führen bereits jetzt zu einer immer größeren Vermögens- und Machtkonzentration bei immer weniger Menschen. Es ist Teil eines Prozesses, der eher Neofeudalismus als Neoliberalismus heißen sollte. Wenn der Wohlstandszuwachs fast ausschließlich bereits wohlhabenden Kreisen zufließt und die Kaufkraft breiter Bevölkerungskreise sinkt, muss die entstehende „Nachfragelücke“ durch staatliche Interventionen ausgeglichen werden, um die Abwärtsspirale zu verhindern. Ohne Eingriffe in vorhandene Vermögen kann dies bei stagnierendem oder rückläufigem Wachstum aber nur durch noch höhere Schulden finanziert werden. Ein Fass ohne Boden.
Was tun?
Die gefährlichste Variante von Schuldenpolitik besteht darin, Schulden für Kriegsabenteuer aufzunehmen, um durch eine Expansion in noch „unerschlossene Märkte“ neues Wachstum zu generieren. Wenigen scheinen solche möglichen Motive für die aktuelle Geopolitik bewusst. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass sich eine Finanzkrise in einem Weltkrieg entlädt. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Kriegspolitik schon immer wesentlicher Treiber inflationärer Entwicklungen war. Deswegen sind Zinserhöhungen auch keine Lösung, sondern verschärfen die Probleme noch, wie wir bereits haben.
Nachhaltig investieren bleibt weiterhin wichtig. Denn wir können auf Dauer nicht gegen unsere natürlichen Lebensgrundlagen anwirtschaften. Es genügt jedoch nicht: Wir müssen in einen gesellschaftlichen Diskurs zu alternativen Lösungsmöglichkeiten eintreten, wie internationale Konflikte fair gelöst und wirtschaftliche Produktivität gemeinwohlorientiert gestaltet werden kann, anstatt den allgegenwärtigen feindbildbesoffenen Parolen auf den Leim zu gehen. Krieg ist die schlechteste aller Lösungen und die am wenigsten nachhaltige.
Wer dem nachhaltigen Investmentansatz treu bleiben will, muss sich jetzt auch politisch engagieren, denn die aktuelle Politik führt vielfach zu einer Entwertung nachhaltiger Investments. Dazu gehört die Bereitschaft, bequeme Haltungen aufzugeben und auch Mut – vor allem Mut, sich des eigenen Verstandes ohne Anleitung Dritter zu bedienen.