Zum Jahresende eskalierte ein Streit um das wohl bekanntesten Nachhaltigkeitssiegel für Investmentfonds im deutschsprachigen Raum. Auf der einen Seite standen die bisher für Siegelvergabe zuständigen Roland Kölsch sowie Prof. Timo Busch von der Uni Hamburg. Auf der anderen der Mutterverein FNG und dessen erst im vergangenen Jahr eingesetzter Geschäftsführer Sascha Görlitz.
Chaos oder Coup?
Bei einer FNG-Mitgliederversammlung am Jahresende, die sich fast acht Stunden hinzog, trug Kölsch vor, persönliche Unstimmigkeiten mit dem FNG-Vorstand hätten letztlich dazu geführt, dass er die Arbeit als Geschäftsführer der FNG-Tochter QNG nicht habe fortführen können. Nun wolle er unter dem Dach von F.I.R.S.T. e.V. weiterarbeiten.
Was in der Presse als vermeintliches „Chaos beim FNG“ bezeichnet wird, scheint jedoch ein schon länger vorbereiteter Plan in Zusammenarbeit zwischen Kölsch und Busch gewesen zu sein. Letzterer ist sowohl Vorstand von F.I.R.S.T. e.V. als auch wissenschaftlicher Beirat bei der Advanced Impact Research GmbH (AIG). Beide wurden bereits Ende 2021 ins Leben gerufen.
Die Satzung des Vereins sieht genau die gleiche Aufgabe vor, die bisher die QNG hatte, nämlich die Mittelbereitstellung für Auditierungsprozesse. Darüber hinaus gehört die finanzielle Förderung von Forschungsvorhaben auf dem Gebiet Sustainable Finance zu den Aufgaben des Vereins. Hier liegt wohl das Interesse von Prof. Busch an der Reorganisation des Siegelvergabeprozesses. Bislang kommen die Überschüsse aus der Vermarktung nämlich dem FNG zu Gute.
In Zukunft soll der FNG nur noch eine Lizenzabgabe von 150 Euro pro Siegel bekommen. Überschüsse darüber hinaus können dann beispielsweise als Drittmittel an die Research Group on Sustainable Finance der Uni Hamburg fließen. Die dortigen Professoren Bassen und Busch treffen als Vorstände bei F.I.R.S.T. nämlich die Entscheidungen.
Auch das ist grundsätzlich ein gemeinnütziges Geschäftsmodell. Die Mischung von inhaltlichem und finanziellem Gesamtmanagement, die Busch anstrebt, birgt jedoch erhebliche Interessenskonflikte. Die Stringenz des Siegels könnte durch finanzielle Eigeninteressen kompromittiert werden.
Ein Produkt der Schwarmintelligenz
Es gibt noch einen weiteren Haken: Das Konzept des Siegels ist weder das Kind von Roland Kölsch noch von Timo Busch. Es ist im Wesentlichen durch ehrenamtliche Arbeit im Forum Nachhaltige Geldanlagen entstanden. Dies geschah unter maßgeblicher Moderation von Sabine Pex, der ersten QNG- Geschäftsführerin. Es basierte auf jahrelanger Vorarbeit von FNG-Mitgliedern in diversen Arbeitsgruppen. Die darauf aufbauende breite fachliche Akzeptanz war notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermarktung. Anfangs war das Siegel noch umstritten. Inzwischen gilt es als Standard. Dazu hat Roland Kölsch sicherlich einen großen Beitrag geleistet
Das Baby ist aber zunächst Dank Schwarmintelligenz zur Welt gekommen. Die verdutzten Eltern in Form von FNG-Geschäftsführung und Vorstand wurden von dem Coup offensichtlich überrollt. Nachdem Bernhard Engl als FNG-Vorstandsvorsitzender sich per Rücktritt aus der Verantwortung gezogen hatte, blieb den ebenfalls erst vor einem Jahr gewählten stellvertretenden Vorsitzenden nur wenig Zeit, mit der neuen Situation umzugehen.
Sie gaben in der Versammlung an, unzureichend über die Liquiditäts-Situation der Tochtergesellschaft informiert gewesen zu sein. Kölsch habe sie mit einer drohenden Insolvenz unter Druck gesetzt und sowohl Veränderungen im Vorstand als auch eine Abgabe der Gesamtverantwortung für die Siegelvergabe erpressen wollen.
Einer alternativen Lösung für das Liquiditätsproblem kam Kölsch schließlich zuvor, indem er tatsächlich die Insolvenz für QNG anmeldete. Daraufhin kündete die AIR die Kooperation mit dem FNG und entließ alle bisher mit der Prüfung der Siegelanträge beauftragten Beschäftigten.
Wegen Indiskretionen gelangte der Streit auf dem Höhepunkt des Konflikts schließlich an die Presse, so dass auch Kapitalanlagegesellschaften als Siegelkunden alarmiert waren. Um den bereits entstandenen Image-Schaden nicht noch weiter zu vergrößern, gab eine Mehrheit der Vereinsmitglieder dem Druck von Kölsch und Busch schließlich nach und beauftragte den Vorstand zur Verhandlungen mit dem Ziel einer Abgabe der Gesamtverantwortung an F.I.R.S.T.
Perspektive
Ob die übers Knie gebrochene Entscheidung allerdings wirklich im Sinne der Betroffenen ist lässt sich bezweifeln. Die Frage der Interessenskonflikte ist ungelöst. Auch die angekündigte Weiterentwicklung der Siegelkriterien ist bislang nebulös. Die künftige Siegelvergabe soll sich stärker an EU-Regulierungen orientieren und Impact-Aspekte berücksichtigen, so heißt es.
Die EU-Regulierung geht allerdings in vielen Punkten an Anlegerbedürfnissen vorbei und hat eher Greenwashing als Transparenz Vorschub geleistet. Dies zeigte gerade eine Impact-Studie von Timo Busch, Johannes Metzler und Lisa Scheitza übrigens auch. Demnach können selbst die als tiefgrün kategorisierten Artikel 9 Fonds nur zu etwa einem Drittel als Impact Investment gelten. Eine weitere Aufweichung von Reporting-Standards auf EU-Ebene wird vorbereitet. Das klingt nicht nach einer guten Orientierungsgrundlage. Im Streit um Nachhaltigkeitssiegel sollte das nicht aus dem Blickfeld geraten.