Mehr als drei Monate nach der Wahl ist die Regierungsbildung auf Bundesebene noch nicht abgeschlossen. Manche halten das für Ausdruck einer auch in unklaren Verhältnissen funktionierenden Demokratie. Für andere ist es Beleg dafür, dass es eigentlich egal ist wer gewählt wird, weil in einer „marktkonformen“ Demokratie die wesentlichen Entscheidungen ohnehin selten durch gewählte Politiker getroffen werden.
Erstere verwechseln funktionierende Wirtschaft mit funktionierender Demokratie – letztere unterschätzen das Parlament als legitimatorische poli-tische Instanz. Beides ist gefährlich. Die Zeit des Jahreswechsels sei genutzt, um die Entwicklung einer sich selbst überlassenen Wirtschaft anhand der großem Handelsgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts in Erinnerung zu rufen, deren Aufstieg übrigens eng mit der Entstehung des modernen Aktienhandels verbunden war.
Diese Handelsgesellschaften waren nicht nur bestrebt aus kurzfristigem Profitinteresse den freien Markt durch weitgehende Monopolbildung abzuschaffen, sie unterhielten auch eigene „Privatarmeen“, mit denen sie ihre Interessen – insbesondere den Zugang zu Ressourcen – rücksichtslos durchsetzten und ihr Handeln wurde von Parlamenten gedeckt, die vor allem durch Interessensvertreter einer kleinen Macht- und Geldelite besetzt waren. Sie wurden irgendwann so mächtig, dass sie sich selbst über die gewählten Regierungen ihrer Heimatländer hinweg setzten. Sie hielten sich kraft ihrer wirtschaftlichen und militärischen Dominanz für unantastbar. Es fällt nicht schwer, Parallelen zur heutigen Situation zu entdecken.
Die Geschichte endete freilich sowohl für die Handelsgesellschaften, als auch deren Mutterstaaten schlecht – die Nachwirkungen zerstörter Ökosysteme und kolonial ausgebeuteter Gesellschaften wirken bis heute nach. Was sich aus der Geschichte lernen lässt ist unter anderem, dass Markt nur funktioniert, wenn dessen Akteure durch einen dem Gemeinwohl aller verpflichteten politisch-rechtlichen Rahmen eingehegt werden. Das Politische ist nicht obsolet. Es bedarf neuer Wirksamkeit jenseits vermeintlich nationaler Interessen und mit klarem Blick auf globale Zusammenhänge.