Sind Atomenergie und Rüstung nachhaltig? Ist wo Nachhaltigkeit drauf steht auch nachhaltige Wirkung drin? Die Beliebtheit des Nachhaltigkeitsbegriffs scheint zunehmend eine Beliebigkeit der Begriffsverwendung nach sich zu ziehen. Gegen diese nachhaltige Begriffsverwirrung wehren sich nun auch Produktanbieter.
Begrifflicher Notstand
wir wollen an dieser Stelle das mittlerweile obligatorische Bekenntnis der meisten Medien zu einem Ende des Kriegs in der Ukraine nicht wiederholen. Nicht nur, weil es etwa acht Jahre zu spät käme, sondern weil es das Schweigen über alle anderen Kriege oder wahlweise humanitäre Interventionen mit militärischen Mitteln miteinschlösse. Stattdessen wollen wir den von allen Seiten propagandistisch begleiteten Konflikt zum Anlass nehmen, uns mit einem anderen Notstand zu befassen: Dem Phänomen einer nachhaltigen Begriffsverwirrung.
Bereits einen Monat bevor Deutschland Rüstungsexporte ins ukrainische Kriegsgebiet genehmigte, hatte die Rüstungsbranche bereits die Einstufung ihrer Geschäfte als nachhaltig gefordert. Atomstrom und Erdgas haben den „Nachhaltigkeits-Segen“ der EU-Kommission bereits erhalten. Der Begriff scheint zunehmend beliebig zum Einsatz zu kommen. Grund genug, das Thema (erneut) kritisch zu beleuchten.
Finanzkonzerne auf Nachhaltigkeitskurs – ein Ablenkungsmanöver?
Fangen wir bei den Konzernen an, die den Anlagemarkt dominieren. Drei US-amerikanische Finanzkonzerne stehen im Fokus: BlackRock, Vanguard und State Street. Zusammen verwalten sie aktuell Anlagekapital im Wert von über 20 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Gemessen an der Kaufkraftparität haben nur zwei Länder der Erde, USA und China ein vergleichbares Bruttoinlandsprodukt. Diese drei halten zusammen an allen großen US-Firmen durchschnittlich 20% aller Aktien. Die wesentlichen Anlageinstrumente der Konzerne sind dabei volumenstarke ETF’s.
Insbesondere BlackRock versucht seit einiger Zeit sich als Verfechter eines „Grünen Kapitalismus“ zu positionieren und legte eine ganze Reihe von sogenannten ESG-Fonds auf. Das Thema Klimawandel habe dabei – laut BlackRock CEO Larry Fink – absolute Priorität.
In der akademischen Diskussion sind die Ansichten dazu gespalten. Einzelne Autoren behaupten, das Geschäftsmodell von ETF’s, Breite Marktabdeckung zu geringen Kosten, widerspreche Anforderungen an laufende Überwachung und ESG-Engagement. Andere sehen in der langfristigen Beteiligung am Gesamtmarkt dagegen einen großen Anreiz zur Integration von Umweltthemen ins Asset Management.
In der Studie „From Passive Owners to Planet Savers?“ sind zwei Forscher der City University of London dieser Frage nun empirisch nachgegangen. Joseph Baines und Sandy Brian Hager schauten sich einerseits die Entwicklung der Beteiligung an den CO2-emissionsintensivsten Unternehmen (sogenannte Carbon Majors) an, andererseits das Abstimmungsverhalten in deren Hauptversammlungen.
Die Ergebnisse sind ernüchternd. Die prozentualen Anteile von Blackrock & Co an den „Carbon majors“ sind 2014-21 kontinuierlich gestiegen. Bei Abstimmungen stimmten sie im gleichen Zeitraum zu etwa 75% gegen Nachhaltigkeitsinitiativen, dagegen zu 90% für die Anträge des Managements hinsichtlich Aktienrückkäufen und Dividendenausschüttungen. Dabei spielte es keine große Rolle, ob es sich um konventionelle oder ESG-Fonds der genannten Gesellschaften handelte. Der Begriff Greenwashing sei hierfür noch zu milde, so die Autoren, es handle sich vielmehr um ein tödliches Ablenkungsmanöver. Von Nachhaltiger Wirksamkeit kann demnach keine Rede sein.
Gefakte Nachhaltigkeitswirkung und Grenzen der Regulierung
Gefakte Nachhaltigkeitswirkung – auch Impact washing genannt – hat auch hierzulande Hochkonjunktur. Einerseits sind Nachhaltigkeitsthemen für viele Anlegende attraktiv und die steigende Nachfrage führt zu einem kaum noch überschaubaren Produktangebot. Andererseits tragen unklare regulatorische Rahmenbedingungen dazu bei.
Als Impact-Fonds gelten beispielsweise die sogenannten Artikel 9 Fonds laut EU-Verordnung 2020/852. Diese definiert bislang ausschießlich Umweltziele, an denen sich die entsprechenden Fonds ausrichten sollen. Konkrete Vorgaben zur Messung der Wirkung werden nicht gemacht. Atomkraftwerke, die bis 2045(!) eine Zulassung erhalten, sollen nach einem kürzlichen Beschluss der EU-Kommission als Beitrag zur Erreichung von Klimazielen und somit als nachhaltig gelten. Ein Fonds, der in Unternehmen investiert, die Atomkraftwerke betreiben kann als Artikel-9-Fonds kategorisiert werden und darf dann sogar als „dunkelgrün“ bzw. besonders nachhaltig beworben werden.
Impact-Leitlinien veröffentlicht
Auch Fonds, die sich auf die Nachhaltigen UN-Entwicklungsziele (SDGs) beziehen, sind umstritten. Das betrifft insbesondere die Instrumente, mit denen sie die positive Wirkung ihrer Investitionen belegen möchten. Diese sind vielfach grob irreführend.
„Das untergräbt die Glaubwürdigkeit auch derjenigen Marktteilnehmer, welche seit vielen Jahren sehr engagiert wirkungsorientierte Investments und Finanzierungen vornehmen“ stellte eine Gruppe von besorgten Finanzakteuren fest. Zu diesen kritischen Produktanbietern gehören u.a. die GLS-Bank und ein Mikrofinanzfonds.
Mit den Anfang Februar veröffentlichten „Leitlinien zur Darstellung von Impact im Bereich wirkungsorientierter Investments“ wollen diese Akteure anregen, offener und ehrlicher zu kommunizieren, wie positive soziale und/oder ökologische Wirkung erzielt werden kann und welche Grenzen es gibt. In sechs Punkten werden wesentliche Aspekte irreführender Kommunikation beleuchtet. Adressaten sind zwar die Produktgeber. Die Punkte sind aber auch für Anleger*innen interessant und bieten gewissen Schutz gegen die nachhaltige Begriffsverwirrung..