Sturm- und Elementarschäden standen im vergangenen Jahr wegen eines dramatischen Ereignisses im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Solche Schäden können in der Tat existenzbedrohlich sein. Insgesamt sind die Leistungen, welche die Sachversicherer nach Leitungswasserschäden jährlich zu erbringen haben jedoch bis zu dreimal so hoch. Leitungswasser ist ein unterschätztes Risiko.
Verzerrte Risikowahrnehmung
Nicht nur im Gesundheitsbereich werden Risiken oft verzerrt wahrgenommen. Statt nüchterne Risikoanalyse prägt die mediale Berichterstattung vielfach die individuelle und politische Gefahrenwahrnehmung. Das kann zu einer un-verhältnismäßigen Reaktion und zu fehlerhafter Prioritätensetzung führen – mit dauerhaften Folgeschäden für die Betroffenen.
Was Sturm- und Elementarschäden anbelangt, so sind diese im konkreten Einzelfall zwar oft sehr dramatisch. Sie kommen aber relativ selten vor, auch wenn die Presse zunehmend darüber berichtet. Die Summe der Schäden insgesamt ist nur in wenigen Jahren höher als die kontinuierlich steigende Schadenssumme durch viel banalere Ereignisse wie beispielsweise Leitungs-Havarien. Über drei Milliarden Euro betrugen die Versicherungsleistungen dafür in 2020 laut Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV). Das war mehr als dreimal so viel, wie die Deckungsleistungen bei Sturm- und Elementarereignissen zusammengenommen.
Es ist deshalb durchaus sinnvoll, sich auch mit vermeintlich banalen Themen auseinander zu setzen, denn die Wahrscheinlichkeit, davon betroffen zu sein ist deutlich höher, als von einer Jahrhundert-Überschwemmung.
Schadensfälle in der Rechtsprechung
Ein Beispiel mag illustrieren, dass die Deckung von Leitungswasserschäden komplizierter ist, als sie auf den ersten Blick aussieht. Viele Oberlandesgerichte – zuletzt das OLG Bamberg – hatten in den vergangenen Jahren geurteilt, dass auch Schäden durch undichte Fugen unter die Leistungspflicht von Gebäude- oder Hausratversicherungen fallen.
Ein Urteil des BGH vom 20.10.2021 hat diese Rechtsprechung nun gekippt. Im konkreten Fall widersprach das oberste Gericht der Vorinstanz und gab der Versicherung Recht. Die undichte Fuge bei einer Duschkabine stelle laut BGH-Urteil keinen versicherten Leitungswasserschaden dar.
Anders als in der langjährigen Rechtsprechung gilt die Duschkabine demnach nicht (mehr) als eine mit dem Rohrleitungssystem verbundene „sonstige Einrichtung“, wie es die Versicherungsbedingungen üblicherweise formulieren. Das Urteil dürfte für alle Versicherten und auch arglose Vermittler, die auf frühere Erfahrungen in der Schadensregulierung vertrauen, weitreichende Konsequenzen haben.
Folgen der geänderten Rechtslage
Die gewohnte Regulierungspraxis wird sich bei nicht wenigen Versicherern aufgrund des Urteils vom vergangenen Herbst nämlich ändern. Der Wortlaut der Versicherungsbedingungen wird dann streng nach BGH-Urteil ausgelegt werden. In der Folge könnten viele Versicherte auf einem Schaden sitzen bleiben, der bislang als versichert galt.
Sowohl Interessenten als auch bereits Versicherte tun also gut daran, den Punkt zu klären und ggfls. die sich auf tuende Deckungslücke zu schließen. Der Fall illustriert auch, dass es Sinn macht, regelmäßig die eigenen Versicherungen zu überprüfen.
In einem Markt der hart umkämpft ist (die Schaden-Kostenquote der Gesellschaften lag in den vergangenen Jahren meist um 100%) wird der Wettbewerb vorrangig über den Preis geführt. Die Folge davon: im Leistungsfall werden Versicherungsbedingungen regelmäßig gegen die Versicherten ausgelegt.
Größe garantiert nicht Qualität
Keiner der nach Beitragseinnahmen größten Gebäudeversicherer Allianz, Bayerische Landesbrandkasse und SV-Versicherung stellt nach einer Umfrage der VEMA Maklergenossenschaft unter ihren etwa 3.000 angeschlossenen Mitgliedern hinsichtlich Leistung, Prämie und Schadensregulierung auf den vorderen Plätzen.
Auch die für ihre BOX-flex-Tarife bekannte AXA oder die VHV können hinsichtlich des beschriebenen Leistungsfalles nicht überzeugen. Anders als bei Großschäden stellt die Größe eines Unternehmens bei Leitungswasserschäden offensichtlich keinen besonderen Pluspunkt für die Regulierung dar.
Nicht auf Kulanz hoffen
Wer auf die übliche kulante Auslegung bei langjähriger Versicherungspartnerschaft vertraut könnte nicht nur in einem Jahr mit kumulierten Großschadensereignissen leer ausgehen. Wer undichte Fugen absichern will sollte also darauf achten, dass die Versicherungsbedingungen diesen Leistungsfall ausdrücklich deklarieren.
Nach unseren Recherchen bieten mehrere Gesellschaften in der aktuellen Tarifgeneration eine entsprechende Klausel an. Die AIG und die BSG/Basler bieten spezielle Deckungskonzepte, die allerdings nicht allen Maklern offen stehen. Die Concordia bietet den Schutz im Tarif Basis-Plus dank einer Sideletter-Vereinbarung mit der VEMA. Sie verzichtet auch auf Kürzung bei grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen bis 10 Tsd Euro Schadenshöhe. Die Gothaer bietet den Schutz gegen undichte Fugen nur im Rahmen ihrer Premium-Tarife.
Alle Besonderheiten beachten
Dieser Deckungsbaustein sollte freilich nicht die alleinige Entscheidungsgrundlage sein. Leitungswasser ist ein unterschätztes Risiko, aber nicht das einzige. Bei einer Wohngebäude-Versicherung sind eine ganze Reihe von Besonderheiten zu berücksichtigen. Beispielsweise nehmen manche Gesellschaften nicht alle Bauartenklassen unter Deckung. Insbesondere Holzfachwerk- oder Holzständerbauweise führen bei einigen Anbietern zu einem pauschalen Ausschluss. Für Wochenendhäuser scheitert die Versicherungsabsicht gelegentlich sogar am Alter des Gebäudes.