Warum wir uns auch als Anlegerinnen und Anleger für mehr Verständigung einsetzen sollten.
Alle meine Großväter starben während des letzten Weltkrieges – entweder an der Front oder in Folge faschistisch-antisemitischer Umtriebe. Mein Vater verbrachte bis zum Kriegsende – genauer gesagt: bis zur Befreiung durch die Sowjetarmee – in einem Arbeitslager bei Breslau. Auch er war auf seine Weise vom Krieg gezeichnet und starb früh. Für ihn waren die Russen seine Befreier. Meiner Zwillingsschwester gab er den russischen Namen Nina. Vielleicht kann ich deshalb so wenig mit der ständigen Dämonisierung Russlands anfangen. Unabhängig davon gibt es aber auch andere gute Gründe, warum eine Deeskalation im Ukraine-Konflikt Sinn macht.
Wenn Konflikte zum Geschäftsmodell werden
Die Eskalation des Ukraine-Konflikts belastet nicht nur die Menschen im Kriegsgebiet, Welthandel, Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Konsum. Sie schlägt sich auch deutlich auf die Performance nachhaltiger Investmentfonds nieder – oder vielmehr: lässt sie im Vergleich zu konventionellen Fonds empfindlich zurückfallen. Von den üppigen Gewinnen, welche Rüstungs- und Erdölkonzerne aktuell einfahren und den damit verbundenen Aktienkurssteigerungen, können Fonds mit strengen Ausschlusskriterien wenig profitieren. Zu diesem Schluss kommt die Redaktion der Zeitschrift Finanztest, die in ihrer Septemberausgabe „Grünes Geld“ zum Schwerpunktthema macht.
„Wegen der kriegsbedingten Knappheit von Öl und Gas steigen die Kurse der Energiekonzerne wieder: Nun haben nachhaltige Fonds das Nachsehen“ heißt es unter der Überschrift „Wie das Öl, so die Fonds“.
Das ist freilich nur die halbe Wahrheit, denn ist vor allem der über Sanktionen geführte Wirtschaftskrieg, der zu einer explosionsartigen Verteuerung der Energiepreise geführt hat. Massive Waffenexporte und Aufrüstungsprogramme bescheren zudem Rüstungskonzernen und deren Zulieferern erhebliche Extrarenditen. Wo so viel zu gewinnen ist, da ist das Interesse an diplomatischen Lösungen gering. Konflikt als Geschäftsmodell dürfte einiges zur eskalierenden Situation beitragen.
An Diplomatie führt kein Weg vorbei
An einer diplomatischen Lösung führt allerdings kein Weg vorbei, denn der eingeschlagene Konfrontationskurs verfehlt deutlich die proklamierten Ziele. Mehr noch: er schadet Menschen und Umwelt gleichermaßen. Es ist an der Zeit, dämonisierende Feindbilder beiseite zu legen und nach Wegen der Verständigung zu suchen. Dazu gehört das Eingeständnis, dass der Konflikt nicht erst mit der russischen Militäroperation begann. Die NATO hat über viele Jahre einen sehr großen Teil zur aktuellen militärischen Auseinandersetzung beigetragen. Die Bevölkerung der Ukraine ist letztlich Geisel geopolitischer Interessen. Der Krieg bürdet ihnen nicht nur tausendfaches Leiden auf sondern auch einen erdrückenden Berg an Kriegsschulden. Deeskalation ist kein naives Wunschdenken sondern Konsequenz nüchterner Überlegungen. Je früher sich diese Erkenntnis durchsetzt, desto besser
Im Übrigen wirft auch der oben genannte Finanztest-Artikel Fragen auf: Wie kann es sein, dass einige der in Sachen Nachhaltigkeit am schlechtesten bewerteten Fonds als „1. Wahl“ angepriesen werden? Die jetzige Zeit fordert auf vielen Ebenen zum unbequemen Selberdenken heraus.
Oliver Ginsberg, GGf tetrateam