Versicherungsvermittler sind überbezahlt, orientieren sich bei ihren Empfehlungen vor allem an der Provisionshöhe und geben deshalb qualitativ schlechte Ratschläge. So oder so ähnlich lauten gängige Meinungen. Was ist daran richtig, was ist Vorurteil? Ein Faktencheck
Sind Versicherungsvermittler überbezahlt?
Wer auf gehaltsvergleich.com nach aktuellen Angeboten für Versicherungsvertreter sucht stößt auf Jahresbruttogehälter die von 21.551 bis 86.465 € reichen. Werden spezielle Fälle wie die Übernahme einer kompletten Allianz Agentur nicht berücksichtigt, liegen die Angebote in der Regel bei 35-50.000 € p.a. Das entspricht in etwa dem Gehalt einer Lehrkraft an einer allgemeinbildenden Schule. Richtig ist allerdings, dass in großen Unternehmen mehr verdient wird.
Bei der überwiegenden Anzahl an Maklern, die beispielsweise in der Maklergenossenschaft VEMA eG zusammengeschlossen sind handelt es sich allerdings um kleine und mittelgroße Betriebe. Hier sieht die Einkom-menssituation nicht ganz so üppig aus: Zwei Drittel aller Makler erwirtschaften als Selbstständige jährlich einen Gewinn von unter 50.000 €. Ein Viertel sogar unter 25.000 €. Für selbstständige Gewerbetreibende scheint das angesichts des unternehmerischen Risikos nicht gerade üppig. (Quelle)
Wenn Versicherungsvermittler angeblich so viel verdienen, warum ist ihre Zahl seit vielen Jahren deutlich rückläufig? Gab es in 2011 noch rund 263 Tsd Vermittler ist die Zahl in 2019 auf unter 200 Tsd gefallen. (-24%)
(Quelle)
Fazit: Die Behauptung ist eher Mythos als Realität
Beraten Versicherungsvermittler schlecht?.
Ende Mai hat der amtierende Ombudsmann für Versicherungen die Jahresstatistik 2018 vorgestellt. Demnach gab es 103 zulässige Beschwerden gegen Versicherungsvermittler. 32 davon waren begründet und wurden zu Gunsten der Betroffenen geregelt. Angesichts von 200.000 Versicherungsvermittlern in Deutschland sieht das nicht gerade nach einem gravierenden Misstand aus.
Auf erhebliche bzw. häufige Beratungsmängel lässt diese Statistik jedenfalls nicht schließen, zumal die Anzahl der Beschwerden seit Jahren rückläufig ist. 32 begründete Beschwerden gegenüber 4,7 Millionen (!) vermittelten Versicherungsverträgen in 2018 sind eher Zahlen, die nahe legen, dass es trotz möglicher Fehlanreize bei provisionsbasierter Beratung offensichtlich Motive gibt, welche diese wirksam ausgleichen, beispielsweise der Wunsch, durch zufriedene Kunden weiterempfohlen zu werden.
Um die Zahl von 32 begründeten Beschwerden gegen Versicherungsvermittler einmal ins Verhältnis zu setzen: die Anzahl begründeter Beschwerden wegen Behandlungsfehlern im medizinischen Bereich liegt in Deutschland etwa 100 mal so hoch. (Quelle: Behandlungsfehlergutachten MDS). 88 Todesfälle in Folge von Behandlungsfehlern wurden für das vergangene Jahr von der Bundesärztekammer bestätigt. Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher. Laut einem AOK Krankenhausbericht liegt die tatsächliche Zahl eher im fünfstelligen Bereich.
Nun gibt es freilich auch deutlich mehr ärztliche Fachkräfte in Deutschland als Fachberater*innen für Versicherungen, (ungefähr doppelt so viele). Möglicherweise wiegen gesundheitliche Belastungen durch Fehlbe-handlungen schwerer als die Belastungen durch schlechte Versicherungsverträge, weshalb die Beschwerdebereitschaft höher ist. Aus den öffentlich verfügbaren Daten lässt sich aber jedenfalls eine allgemeine schlechte Beratungsqualität nicht ableiten.
Fazit: Auch diese Behauptung gehört ins Land der Mythen und Märchen.
Qualität durch Vergütungskürzung?
Die Einführung eines Provisionsdeckels in der Versicherungsvermittlung wird damit begründet, dass die Qualität der Beratung gering sei und verbessert werden müsse. Hohe Provisionen führten demnach zu Fehlanreizen und häufigen Fehlberatungen.
Die Argumente sind populär. Und sie sind falsch. Sie halten einer sachlichen Prüfung nicht stand. Vergütungskürzungen dürften eher zu einem Beratungszeitdruck führen, der Beratungsfehlern Vorschub leistet. Würde irgendjemand davon ausgehen, dass die Leistung von medizinischen Fachkräften sich verbessert, wenn deren Vergütungen massiv gekürzt werden? Wohl kaum.